Was ein Buch aus dem Jahr 1919 mit mir zu tun hat

Zu Hunderten und Aberhunderten gab es Wahrheiten, und sie waren alle schön.

Wenn man, wie ich in den letzten Tagen, viel Zeit hat, dann liest sich so ein Buch ja doch ganz anders. Oder lag es vielleicht doch am Buch selbst und ich mag nur nicht glauben, dass ein Buch aus dem Jahr 1919, in dem es einzig und allein um die Einwohner*innen einer ländlich gelegenen Kleinstadt in Ohio geht, doch so viel mit mir selbst zu tun haben kann? Wie auch immer, es waren wunderbare Stunden mit diesem Buch, ‚Winesburg, Ohio‘ von Sherwood Anderson.

Neben einem großartigen nahezu philosophischen Auftakt über das, was die Menschen „Wahrheit“ nennen, inklusive einer ganz präzisen Beobachtung von Menschen, die denken die eine Wahrheit für sich gepachtet zu haben, hat mich vor allem eine Stelle sehr gepackt, weil es in meinen Augen noch niemand geschafft hat, dieses Gefühl so gut in Worte zu fassen.

Um das vielleicht für alle Paderborner*innen ein bisschen besser beschreiben zu können: Stellt euch den Kamp an einem sommerlich warmen Abend zu Libori vor, an dem ihr mit Freunden diesen einen wunderschönen Abend in der Liboriwoche verlebt. Oder den Rathausplatz zur Aufstiegsfeier des SCP, auf dem ihr plötzlich dem neuen Nachbarn von Gegenüber oder eurem alten Schulfreund in den Armen liegt. Vielleicht auch aktuell, das Gewusel rund um den Maspernplatz am letzten Wochenende zum Osterlauf, und wie ihr euch nach dem Lauf eures Lebens mit Freunden endlich das lang ersehnte kühle Bier gönnt.

Und dann kommt ihr wieder an diesen Ort wenn alles vorbei ist. Wie ich am Samstag, als ich tatsächlich im Freudentaumel nach dem bezwungenen Halbmarathon völlig vergessen hatte, mein Fahrrad mitzunehmen und später noch einmal zum Sportzentrum zurück musste. Und nach all der Action, den Gefühlen und dem Trubel war da plötzlich nichts mehr. Einfach alles schon weg.

„Der Platz war bis zum Überquellen mit Leben erfüllt. Er kribbelte und zappelte von Leben, und nun ist es Nacht, und das Leben ist völlig verschwunden. Die Stille ist beinahe erschreckend. Man verbirgt sich und steht stumm an einem Baumstamm, und jede Neigung zur Nachdenklichkeit wird verstärkt. Man erschauert beim Gedanken an die Bedeutungslosigkeit des Lebens, und gleichzeitig, und wenn die Leute in der Stadt die eigenen sind, liebt man das Leben mit einer solchen Tiefe, dass einem Tränen in die Augen treten.“

Ich schätze ich bin immer noch ganz benebelt von diesem tollen Tag gestern. Und wie heißt noch dieses mentale Loch, in das man nach so einem Hochgefühl fällt? Ich lese als nächstes was witziges, so viel steht fest. 😉

„Winesburg, Ohio“ von Sherwood Anderson, 304 Seiten Manesse Verlag

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