Seelennahrung

Mein Abend mit Robert Betz

Ich sagte ja, es war ein Experiment. Vielen Dank noch einmal, liebe Claudia, für deine Begleitung. Ohne dich wäre es wirklich komisch gewesen. Ich war so froh, dass wir immer wieder Augenkontakt suchen konnten. Denn es gab diese Momente, da traute ich meinen Ohren nicht.
 
Und da sind wir schon mittendrin. Die erste Hälfte des Vortrags war eher harmlos – einfach ein riesengroßer Eintopf. Da wurden Kalendersprüche, Küchentisch-Psychologie, Meditationshäppchen und spirituelle Gedanken, die eine Mischung aus allen fünf Weltreligionen zu sein schienen, bunt durcheinandergewürfelt und vorgetragen. Erzengel, der Schöpfer selbst, die Ahnen aus dem Jenseits, das innere Kind, Reinkarnation, er ließ einfach nichts aus. In jedem dritten Satz reihte er unzählige Gefühle aneinander, damit auch jeder Besucher (ja, es waren gegen meine Erwartungen auch einige Männer anwesend) und jede Besucherin sich abgeholt fühlte. Die drei Frauen neben uns, die jedes Wort mitzuschreiben schienen und die Dame hinter mir, die alles mit „Ja!“ und „Genau!“ kommentierte, vermittelten den Eindruck, sehr bedürftig zu sein.

Ich kann gut nachvollziehen, dass man dann jedes Wort geradezu inhaliert und froh ist, dass da vorne endlich ein Mensch steht, der mitfühlt und weiß wie schlecht es einem geht. Ich werte das nicht, auf gar keinen Fall. Ich selber hatte Phasen in meinem Leben, da ging es mir so schlecht, da habe ich auch nach jedem Strohhalm gegriffen.

Robert Betz ist für viele Menschen sicher auch so ein Strohhalm. Aber eben kein guter – das zeigte vor allem die zweite Hälfte seines Vortrags. Neben unzähligen Wiederholungen aus dem ersten Teil, ging er nun dazu über den Teilnehmer*innen richtig was vor die Füße zu schmeißen.

Hier nur zwei Beispiele: Jede Krankheit, jeder Schicksalsschlag, jeder Unfall sei zum größten Teil selbst verschuldet, weil man eben nicht gut genug hinschaue und sich nicht selber genug liebe. Ich weiß um psychosomatische Zusammenhänge einiger Krankheitsbilder, aber zu behaupten, dass heute niemand mehr Alzheimer, Demenz oder gar einen Schlaganfall haben müsse, wenn man nur genug an sich arbeite, ist schon sehr vermessen.
 
Zum Ende sprach er auch immer wieder von einem Wechsel, einer Transformation in ein neues Zeitalter und dem, was uns allen in fünf bis zehn Jahren „blühe“. (Wenn wir es bis dahin überhaupt geschafft haben, durch seine Arbeit an uns und durch die Inanspruchnahme und den Konsum unzähliger Betz-Seminare, Bücher und CDs, alle Schicksalsschläge, Schlaganfälle oder Krebsdiagnosen abgewendet oder überlebt zu haben.) Was genau uns dann erwartet konnte oder wollte er aber nicht mitteilen.

Was mich gleich von Anfang an kribbelig gemacht hat und dafür gesorgt hat, dass ich eigentlich den ganzen Abend mit den Augen gerollt habe, war sein Verständnis von Frauen und Männern in Paarbeziehungen heute. Das war so sehr 80ies, dass es mich die ganze Zeit an den Song von Genesis – Jesus He Knows Me erinnerte.

I believe in my family
With my ever loving wife beside me
But she don’t know about my girlfriend
Or the man I met last night

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Als er dann zum Schluss noch in einem Halbsatz zum Besten gab, dass veränderte Energiewellen der Sonne für den Klimawandel verantwortlich seien und nicht der Mensch selbst, war ich komplett raus.

Robert Betz mag Diplom-Psychologe, Seminarleiter, Therapeut und Coach (wie im HEFT angekündigt) sein. In meinen Augen ist er aber vor allem ein gewiefter Verkäufer und der Guru eines Universums, das er selber erschaffen hat und das so weit weg von meiner Realität und meiner Vorstellung vom Leben und der Welt ist, dass ich es tatsächlich zwischendurch immer wieder belächeln musste. Was ich nicht belächeln kann und auch nicht will, war gestern Abend sein Publikum. Und ich bin noch unsicher, wie ich die ausverkauften Stadthallen in seinem Terminkalender deuten soll. Ob es mich eher traurig macht, dass so viele Menschen einer Vorstellung und einer Rettung hinterherrennen, die Ihnen dieser Mensch sicher nicht geben kann. Oder ob ich froh bin darüber, dass sich in unserer Gesellschaft tatsächlich etwas verändert und sich so viele Menschen auf den Weg machen, einen besseren Zugang zu sich und damit selbstverständlich auch zu ihrer Umwelt zu bekommen. Dass Menschen ein Bewusstsein entwickeln, dass es um mehr geht, als nur darum, möglichst gut durchs Leben zu kommen.
 
Was das angeht hat mich der Abend einmal mehr nachdenklich gestimmt und somit seinen Zweck erfüllt. Ganz abgesehen davon, dass ich ohne die Freikarten die liebe Claudia nicht endlich etwas näher hätte kennenlernen können.

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