Ganz schön viel Leben

Mein Lesehighlight des Jahres steht jetzt schon fest.

Seit Erscheinen des Buches Ein wenig Leben von Hanya Yanagihara in 2017 bin ich um diesen dicken Schinken gekreist, wie eine Jägerin um ihre fette Beute. Dann landete es irgendwann als Geschenk in meinen Händen.

Das Buch schien omnipresent zu sein. In jeder Buchhandlung, auf jedem Büchertisch im Supermarkt, in jeder Literaturbeilage und vor allem im Social Web: Überall sah man dieses Buch mit diesem verstörenden Cover, gefühlt das ganze Jahr. Ich habe für die Lektüre dieser fast 1.000 Seiten immer auf den richtigen Moment gewartet, weil ich irgendwie wusste, dass mich etwas ganz Großartiges erwartet und ich diesen Lesemoment nicht verschwenden wollte.

Schon alleine die Geschichte, wie es dieses Foto mit dem Titel Orgasmic Man von Peter Hujar auf das Cover von „Ein wenig Leben“ geschafft hat, ist eine Story für sich.

„Vor diesem Hintergrund war es vielleicht nicht überraschend, dass Hujars Fotografie von allen abgelehnt wurde: den Marketingleuten, den Verlagsvertretern, den Buchhändlern. Das Bild schien zu übergriffig zu sein, zu intim, zu herausfordernd. Sie hatten nicht Unrecht. Und doch sind es genau diese Eigenschaften, derentwegen ich das Bild liebe. Es schien mir die denkbar aufrichtigste Werbung für das Buch zu sein. Empfindet der Mann Schmerzen oder Lust? Ist er ekstatisch oder tief verzweifelt? Man hat das Gefühl, dass man Zeuge eines fast unerträglich intimen Moments wird, dass man etwas sieht, was man eigentlich nicht sehen sollte.“

Und genau so, wie die Autorin das Cover beschreibt, ging es mir während der Lektüre dieses Buchs. Immer wieder war ich hin und hergerissen, zwischen Betroffenheit, Irritation, Rührung und vor allem Schmerz. Ich habe lange kein Buch gelesen, dass mir so nah gegangen ist, ja, dass ich fast das Gefühl hatte, den Schmerz, den Schock und die Liebe selber zu spüren.

In 2017 gab es in meinen Augen kein Buch, über das so ausführlich geschrieben und gesprochen wurde. Und ich weiß jetzt auch warum. Man möchte nicht alleine sein, mit dem was man da gelesen hat. Ich habe auch direkt nach der Lektüre den Kontakt zu den Menschen gesucht, die dieses Buch auch gelesen hatten. Ich habe Rezensionen kommentiert, auf Instagram viele Herzen verteilt und in Büchergruppen über meinen Leseeindruck geschrieben. Dabei fiel es mir erst einmal total schwer etwas Schlaues darüber zu sagen. Außer vielleicht, dass man tatsächlich manche Dinge im Leben anders sieht, nachdem man das Buch zugeklappt hat.

Alles über das Buch, den Inhalt und die Autorin findet ihr auf der Internetseite des Verlags. Ich kenne mich nicht so gut aus im Verlags- und Buchbusiness, vielleicht ist es sogar üblich. Aber ich habe vorher noch keine so schöne Präsentation eines Buches im Netz gesehen. Schaut euch das mal an!

Und ich wäre ja nicht ich, wenn ich mir nicht auch einen Bildband von Peter Hujar besorgt hätte, um diesem fantastischen Fotografen auch noch ein bisschen näher zu kommen. Schade, dass er nicht mehr lebt. Er hätte sich wahnsinnig über seine Fotografie auf dem Titel dieses besonderen Buches und dieser besonderen Geschichte von Hanya Yanagihara gefreut, da bin ich sicher. Es ist, wie sie selber sagt: Das Cover enthält ein Echo der Lektüre des Buches selbst.

Ein wenig Leben von Hanya Yanagihara, 960 Seiten, Hanser Verlag 

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