Der Stapel ungelesener Bücher in meinem Regal ist sehr hoch. Ich habe mich, was das angeht, so sehr auf den Februar gefreut. Der ist ja nun seit sechs Jahren der Monat, in dem Familie Freise medienfastet. Was liegt da näher, als sich diesem Stapel Bücher endlich mal ausgiebig zu widmen.
Mittendrin irgendwo lag schon lange das Buch Morgen ist es vorbei von Kathrin Weßling. Ich habe bisher noch nichts von ihr gelesen, verfolge aber mit Hingabe ihre Beiträge in den sozialen Netzwerken. Eine so kluge Frau, die ihr Herz auf der Zunge trägt und die (Was für eine große Freude!) ihren Mund einfach nicht halten kann, wenn es darum geht, zu aktuellen Themen Stellung zu beziehen oder rechten Arschnasen zu zeigen, wo sie hingehören. Es war also längst überfällig, eines ihrer Bücher zu lesen. Und es war toll. Nein, schlimm. Nee, warte: schönschlimm.
Es wird wohl über kein Thema so viel geschrieben, wie über die Liebe. Über die erfüllte, leidenschaftliche und wahre Liebe. Aber auch über die gescheiterte, die schmerzhafte und unerfüllte Liebe, genau so wie in diesem Buch. Nichts Neues also, könnte man denken. Aber gleich die erste Geschichte hat mich eiskalt erwischt. Schon nach den ersten Sätzen war auch in meinem Kopf auf einmal alles wieder da. 14 Geschichten über die Liebe und ihr Scheitern hat Kathrin in diesem Buch zusammengetragen. Aber mehr als um die Liebe, geht es um das Scheitern dieser Liebe. Und mehr als um die Sehnsucht, seine andere Hälfte zu finden und sich darin zu verlieren, geht es um den Schmerz der Wunden, die bleiben, wenn dieser Mensch gegangen ist.
Plötzlich ist die ganze Stadt ein Museum: Hier waren wir das erste Mal aus, hier haben wir uns das erste Mal gesehen, hier haben wir uns geküsst und dort und dort und da vorne auch… Die ganze Stadt hängt voller Momentaufnahmen, und du läufst sie Schritt für Schritt ab, in deinem privaten Museum der Grausamkeiten, der Erinnerungslücken und Falltüren. Der ganz normale Wahnsinn eines Kopfes, der sich sekündlich erinnert an jedes Detail.
Na? Kommt euch das bekannt vor? Mir schon. Auch wenn sich tatsächlich im Laufe der Zeit eine zarte Hülle über diese Wunden gelegt hat. Die Lektüre dieses Buches war für mich so, als würde ich den Verband kurz lüften um festzustellen: Oh ja, blutet immer noch ein wenig. Und nein, morgen ist es nicht vorbei, irgendwie ist es nie vorbei. Auch wenn es masochistisch klingt, es war wunderbar in diesem lauten Alltagsgebrause einmal abzutauchen in diesen längst vergangenen Liebeskummer. Warum auch immer, empfand ich diesen, mittlerweile süßen Schmerz, als wohltuend. Weil er einem zeigt, was wichtig war und was an einem gerüttelt und einen geformt hat. Als Soundtrack zu diesem Trip empfehle ich übrigens dringend Thom Yorkes Soloalbum Tomorrow’s Modern Boxes, absolut überragend der Song Guess again!
Das war ganz bestimmt nicht mein letztes Buch von Kathrin Weßling. Als nächstes kommt ihr Debüt auf meinen Stapel, Drüberleben – Depressionen sind doch kein Grund, traurig zu sein. Und am 6. April schon erscheint ihr neuer Roman Super, und dir?, der dann sofort auf meine Geburtstagswunschliste kommt.
„Morgen ist es vorbei“ Stories von Kathrin Weßling, 204 Seiten, Luchterhand Literaturverlag