Lyrik und ich, ich sagte es ja schon, das ist so ein Thema für sich. Genau so wie zur klassischen Musik, fehlt mir zu Lyrik oft einfach irgendwie der Draht, bis auf wenige Ausnahmen. Aber ich lasse nicht locker und so widme ich mich jetzt immer mal wieder einem Lyrik Bändchen.
Durch die gesammelten Verse von Søren Ulrik Thomsen, einem dänischen Dichter, habe ich mich nun kürzlich auch geblättert und eines der Gedichte möchte ich hier vorstellen, weil es mir so gut gefallen hat. Warum kann ich gar nicht so genau sagen. Entweder weil ich gleich ein Bild im Kopf hatte, oder weil mir direkt nach dem Lesen noch so viel mehr zu diesem Protagonisten eingefallen ist und ich mich gern mit ihm an diesen Tisch in dem polnischen Café gesetzt hätte. Alles in allem sind in diesem Buch aber viele Gedichte und Verse, mit denen ich, manchmal zwar erst nach dem zweiten Lesen, wirklich warm geworden bin. Es besteht also Hoffnung.
Hier also mein Lyrik-Highlight der Woche:
Wenn alle Wege hier endeten
am Tisch in diesem polnischen Provinzrestaurant
wo ich die Anonymität genieße
die melancholische Musik
und die diskrete Anwesenheit
einer leicht schielenden Kellnerin
wäre mir das recht
obwohl aus mir nicht das geworden ist
was ich mir vorstellte
sondern der der ich bin
was weniger glamourös ist
aber abenteuerlicher
weil es nicht mal etwas ist
was man sich erträumen kann
sondern nur erwachen und sein
an jedem einzigen unverhofften Tag.
Lass uns also die Illusionen durchschauen
sie aber nicht verspotten
denn selbst wenn die für den Träumenden lügen
lügen sie nicht über ihn
und sind daher Teil der Wahrheit:
Lass uns über Verluste weinen
sie aber nicht betrauern
denn ebenso wie Glück und Zufälle
führen auch sie zu diesem Abend
in dieser schmalen Gasse
an diesem weißen Tischtuch
wo ich egal wer sein könnte
und ehe ich weiter muss
mir den Luxus erlauben kann
mich vollkommen schwerelos zu fühlen
weil es nicht ganz wahr ist.
Aus ‚Zitterspiegel – Gedichte‘ von Søren Ulrik Thomsen, Kleinheinrich Verlag, 100 Seiten, 30 €