Ein ganz normaler Freitag

Kontrollverlust kann manchmal auch sehr befreiend sein.

Ein gutes Buch ist für mich ein Buch, das meine Sichtweise auf die Welt mindestens ein klein wenig verändert, vielleicht sogar ein bisschen gerade rückt.

Ich war alleine unterwegs, das heißt ohne Kind und Kegel. Das läuft fast immer folgendermaßen ab: Ich rolle mit meinem kleinen Fiat vom Hof, im besten Fall winkt man mir noch nach und ich fange im Auto schon an, die Stille und das Für-mich-sein zu genießen. Ich nehme die Route, die ich möchte, kann ohne Rücksicht auf andere in meinem Tempo ankommen, mich einrichten und die Umgebung erkunden. Vielleicht habe ich stundenlang kein Wort gesprochen, außer Bitte und Danke an der Tankstelle oder das Allernötigste an der Hotelrezeption. Dann irgendwann kehrt die richtige Ruhe ein, ich kann mich hinsetzen wo ich will und lesen oder Menschen beobachten, muss echt keine Rücksicht auf nichts und niemanden nehmen. Das ist wohl die Qualitytime, von der so viele sprechen, es fühlt sich auch ein bisschen so an, und ich genieße das auch in vollen Zügen. Für ein paar Stunden, dann ändert sich etwas. Denn nach ein paar Stunden merke ich, dass mir etwas fehlt. Ich merke schnell, dass nicht irgendwer fehlt, sondern der Rest meiner Mannschaft, meine Familie. Damit komme ich gut klar, ich kann gut alleine sein. Aber trotzdem nehme ich mich dann als einen Menschen wahr, der eben in diesem Moment nur ausnahmsweise mal alleine unterwegs ist, woanders übernachtet und irgendwie eine Leerstelle mit sich herumschleppt.

An einem solchen Wochenende sitze ich also in meiner Lieblingsstadt Berlin und genieße die Zeit für mich und lese ein Buch: Dieses Buch über Katharina, eine Frau Mitte 40 und Mutter zweier Kinder, die versucht an einem ganz normalen Freitag den Familienalltag zu bestreiten. So wie ich zu Hause. Ich finde mich sofort in so unglaublich vielen Gedanken der Protagonistin wieder. Egal ob es um das Thema Kinder, Schule, Kochen oder Job geht. Ich erkenne in ihrer Tochter sogar einiges von meinem Mädchen wieder, so dass mir so alleine und ohne Familie unterwegs die Leerstelle und dieses unvollständig sein deutlicher wird als je zuvor.

Ein Buch – ein Tag, nur dieser eine Tag. Eigentlich ein ganz normaler Freitag im Leben von Katharina, wären da nicht die vielen kleinen und großen Katastrophen, die im Laufe des Tages passieren. Was zu Beginn zunächst einmal wirklich komisch daherkommt, wird irgendwann anstrengend und rührend, denn Katharina droht alles zu entgleiten. Nichts läuft wie geplant und es gilt – nicht nur sinnbildlich – einige Brände zu löschen. Man möchte ihr in ihrer Verzweiflung wirklich am liebsten zur Seite springen. Vor allem ich bekomme beim Lesen fast ein schlechtes Gewissen, wo ich mir doch nun gerade diese Auszeit gönne, mutterseelenallein in dieser tollen Stadt sitze und mich wirklich um nichts kümmern muss. Und ich weiß genau wie miese Tage ablaufen können: Kind krank, Job absagen, Waschmaschine oder Trockner kaputt, noch ein kleiner Haushaltsunfall mit viel Blut und ein entlaufenes Haustier. Alles selber schon gehabt, bis auf das entlaufene Haustier. Man ist nicht man selbst, völlig fremdbestimmt und hat das Gefühl, dass man nie wieder einen eigenen klaren Gedanken fassen kann.

Doch Katharina hat nicht nur einen stressigen Freitag, sondern auch dieses „Etwas“, einen Knoten in ihrer Brust, von dem noch niemand weiß. Und somit schwingen bei allem was sie tut und denkt die Fragen mit: Was, wenn es das jetzt schon war? Wenn es nun ganz bald vorbei ist? War das hier das Leben, das ich führen wollte?

„Ich habe manchmal den Gedanken, ich könnte nur frei sein, wenn meine Kinder nicht mehr da wären. So lange sie leben, werde ich an sie gekettet sein, von Sorgen geplagt, von Zweifeln zerfressen, und niemals in der Lage eine einzige Entscheidung für mein Leben zu treffen, die Ihre Gefühle nicht mit berücksichtigt. Aber ich weiß, dass das nicht stimmt.“

Ich weiß nicht, ob mich das Buch auch so gepackt hätte, wenn ich es in einer anderen Situation gelesen hätte. Aber 400 km weit weg von meiner Familie ein Buch über eine Familie zu lesen, über das was Familie ausmacht, was es bedeutet Kinder zu haben und die Verantwortung dafür zu tragen, hat mich sehr berührt. Wie schafft man es vor lauter Fremdbestimmtheit durch Kind und Kegel auch noch man selbst zu bleiben? Vielleicht sind solche Auszeiten, wie ich sie mir manchmal nehme, ein guter Anfang.

„Manchmal denke ich, ich bin eine Art Spinne im Netz, dessen Fäden zu all den Leuten reichen, die ihr wichtig sind. Sobald sich einer von ihnen bewegt, zittert oder ruckt der Faden, und ich zittere oder rucke mit. …ich reagiere auf jede Erschütterung meines Netzes. Ich habe die Fäden selber gesponnen, die mich mit all den anderen verbinden, ich wäre heimatlos und verloren ohne dieses Netz in dem ich sitze.“

Das richtige Buch zur richtigen Zeit in meinem Fall. In jedem Fall ein unterhaltsamer Roman, der es schafft trotz der großen Fragen an das Leben auch kurzweilig und witzig zu sein.

„Sieh mich an“ Roman von Mareike Krügel, 255 Seiten, Piper Verlag

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